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Das Kriegsende in Neudorf

Berichte zweier Einwohner

Gegen Ende des Krieges traf auch die Einwohner von Neudorf das Schicksal der durch die Kampfhandlungen im schlesischen Raum notwendigen Evakuierungen. Die Räumung des Dorfes wurde leider nicht planmäßig, sondern größtenteils fluchtartig durchgeführt. Es gab keinen geschlossenen Treck, sondern mehrere Treckgruppen, von denen das letzte Gespann erst am 18. März 1945 das Dorf verließ. Von den Ausweichstellen im westlichen Kreisgebiet und im Sudetenland fuhren täglich Bewohner mit dem Fahrrad zurück nach Neudorf, bis die Russen am 22.März 1945 das Dorf besetzten.

Zwei Monate lang blieben die meisten Bewohner dem Dorf fern. Am 20.Mai 1945 kehrten die letzten Evakuierten nach Neudorf zurück.

Die Zeit bis zur entgültigen Vertreibung brachte für die Bewohner von Neudorf grauenhafte Erlebnisse. So ist es zu verstehen, wenn Eduard Dobroschke, der Haus und Hof in Neudorf besaß, schreibt : „Nach vierzehnmonatiger Schreckenherrschaft der Russen und Polen schlug für uns am 26.Juli endlich die erlösende Stunde, denn an diesem Tage wurden wir ausgesiedelt und kamen am 1.August 1946 im Kreis Hameln an“.

Ein zweiter Bericht eines Einwohners von Neudorf

Am 22.März 1945 wurde unsere Heimatgemeinde Neudorf, Kreis Leobschütz, vom Osten und Norden her von russischer Infanterie und Panzern eingeschlossen und ohne wesentlichen Kampf besetzt.

In unserem Heimatkreis fanden schwere Kämpfe statt. Im Süden des Kreises drang der Feind von Ratibor aus über Katscher nach Hubertusruh und Bladen vor, wo besonders bei Hubertusruh schwere Kämpfe ausgetragen wurden. Auch um Leobschütz und im nördlichen Kreise wurde schwer gekämpft.

Unsere Heimatgemeinde hat durch Kampfhandlungen wenig gelitten. Es sind nur Wohnhäuser und drei Scheunen mitsamt den Wirtschaftgebäuden niedergebrannt. Die Verwüstungen im Dorf und in den einzelnen Gehöften sind auf die rohe Willkür der besetzenden Truppe zurückzuführen. Die Kirche und besonders der Turm waren durch Artelleriebeschuß schwer beschädigt worden.

Für unsere Gemeinde war schon Wochen vorher von der Partei aus ein Räumungsplan aufgestellt worden. Als am 17.März 1945 die Russen frühmorgens auf der Chaussee Gnadenfeld – Leobschütz einen Panzervorstoß bis kurz vor Leobschütz durchführten – wo sie aber wieder zurückgedrängt wurden – und einige Granten in unser Dorf schlugen, da rüstete alles zur Flucht, und es dauerte nicht lange, da rollten die ersten Wagen auf der neuerbauten Chaussee in Richtung Jägerndorf – Sudetenland. Weil kein Räumungsbefehl vorlag und die verantwortlichen Leiter der Evakuierung sich absetzten, wurde die Räumung nicht planmäßig, sondern größtenteils fluchtartig durchgeführt. Die letzten Gespanne verließen erst am 17.März, nachmittags 17 Uhr, und Sonntag früh, den 18.März 1945, unser Dorf.

Unser Dorf bildete also keinen geschlossenen Treck, sondern hatte sich in sechs oder sieben Treckgruppen aufgeteilt. Bei Jägerndorf, in den Dörfern Saliswalde, Türmitz und Bransdorf, wurde die erste Rast gemacht. Von unserer ersten Ausweichstelle fuhren per Rad einige Männer und Mädchen jeden Tag zurück in unser Dorf. Am 20.März 1945 kam der Räumungsbefehl für unsere Gemeinde, wie mir ein Feldgendarm bei unserem kurzen Besuch im Dorf erklärte, von wo wir uns immer noch etwas holten. Am 21.März waren wir das letztemal in unsrem Dorf, denn am 22.März vormittags gegen 10 Uhr wurde es vom Feind besetzt. Ungefähr 10 alte Leute verblieben in unserem Ort. Einige von ihnen sind während der russischen Besetzung gestorben, während die übrigen diese Zeit überlebten. Vier Personen, welche am 22.März noch einmal zurückgekehrt waren, wurden vom Feind überrascht und haben das Kampfgeschehen miterlebt. Nach den Kampfhandlungen kehrte ungefähr die Hälfte der Dorfbewohner wieder zurück, während der andere Teil nach Bayern und Österreich gedrängt wurde.

Die Zeit unserer Dorfabwesenheit betrug zwei Monate, denn am 20.Mai kehrten die letzten Menschen aus dem Sudetenland zurück. Zur Zeit der Flucht befanden sich in unserem Dorf auch Bombenevakuierte und schon Flüchtlinge aus dem Nachbarkreis Cosel, welche auch diesen Leidensweg mitgehen mußten.

Nachdem die zurückgekehrten Einwohner die von den Russen angerichteten Verwüstungen wieder einigermaßen in Ordnung gebracht hatten und, soweit es möglich war, Kartoffeln und Rüben trotz der vorgeschrittenen Jahreszeit anbauten, wurde unser Dorf Anfang Juni 1945 von Zivilpolen besetzt, und wir standen nun unter polnischer Verwaltung. Mit der Übernahme der Verwaltung durch die Polen begann für uns eine schwere Leidenszeit, denn wir waren nun die Entrechteten und Rechtlosen und wurden wie Freiwild behandelt. Während bei den Russen die Frauen und Mädchen ein gehetztes und ruheloses Leben führten und schwer arbeiten mußten, hatten es die Polen auf die Männer abgesehen. Jeder geringfügige Anlaß führte zur Verhaftung.

Am 30.Juni 1945 wurden auch aus unserem Dorf vier der Partei angehörige Männer auf der Straße durch die polnische Militz verhaftet. Ich mußte sie mit meinem Gespann nach Leobschütz fahren, wo man mir alles wegnahm und mich ebenfalls in den Keller des dortigen Amtsgerichts einsperrte. Hier wurden wir von sogenannten Prügelkommandos in Empfang genommen, und was die Häftlinge hier an unmenschlichen Torturen erduldet haben, läßt sich nicht in Worte kleiden. In Leobschütz befanden sich drei Lager : eines im Keller des Amtsgerichts, eines in den Kellern von Obsthändler Krause, Botenstraße, und eines im ehemaligen Tettenbornschen Besitz, Hohenzollernplatz. Von diesen Lagern wurden die Häftlinge in die Kohlen- und Bleiwerke nach Ost-Oberschlesien transportiert, von wo nur einzelne zurückgekehrt sind. Die vier Häftlinge aus unserer Gemeinde, welche ebenfalls den Weg in die Bergwerke antraten, sind schon nach kurzer Zeit verstorben.

Während meiner fast fünfmonatigen Haftzeit mußten wir so manche Wohnung der Deutschen unter dem Kommando polnischer Miliz plündern. Obwohl die Menschen flehten und weinten, ließ man ihnen nicht einmal das Notwendigste. Von den Landgemeinden brachte man auf Erntewagen Betten, Kleider, Möbel und andere lebensnotwendige Dinge – alles geplündertes Eigentum. Die Bibliotheken der Gymnasien und Städte sowie alle Dokumente und Akten aus den Archiven wurden in Kisten verpackt und nach Angaben der Polen nach Warschau geschickt. Unter der Stadtbevölkerung herrschte viel Hunger und Elend.

Nach meiner plötzlichen Haftentlassung ging ich wieder in meine Gemeinde zurück, wo wir alle, ob Männer oder Mädchen, je nach Bedarf für die Polen oder Russen arbeiten mußten.

Nach vierzehnmonatiger Schreckenherrschaft der Russen und Polen schlug für uns am 26.Juli 1946 endlich die erlösende Stunde, denn an diesem Tage wurden wir ausgesiedelt und kamen am 1.August 1946 im Kreise Hameln an.

Angaben von Elisabeth Riedel. Flucht von Neudorf, 17.März 1945

1. Wagen :    Wilhelm und Emma Riedel,

                   Margarete und Emilie Beck

2. Wagen :   Karl und Marie Römer,

                   Elisabeth, Brigitta, Hildegard, Anna-Elisabeth

3. Wagen :   Eduard und Marie Görlich,

                   Elisabeth und Hedwig

4. Wagen :   Marie Riedel,

                   Johanna und Elisabeth Kosch

5. Wagen :   Johannes und Agnes Lex,

                   Elisabeth und Christa

6. Wagen :   Berta Woitennek,

                   Agnes und Maria

7. Wagen :   Alois und Marie Salzmann,

                   Agnes, Erwin und Paul

8. Wagen :   Alfred und Magdalena Schmidt,

                   Magdalena und Ursula

9. Wagen :   Eduard und Anna Hein,

                   Gertrud und Anna

10. Wagen :  Eduard und Agnes Schauder,

                   Siegfried und Rosemarie

11. Wagen : Josef und Marie Fitzke,

                   Emma, Elisabeth und Magda

12. Wagen :  Adolf und Emilie Lichteblau,

                   Christa und Horst

Fluchtweg : Türmitz (erste Nacht) – Jägerndorf bis Hohnstadt in etwa 8 Tagen, dann mehrere Wochen Aufenthalt – Rückfahrt über Landeck – im Mai wieder zu Hause angekommen.